Sind Liebe, Sex und Freundschaft im Zeitalter digitaler Medien wie Facebook bei jungen Leuten nur noch virtuell? Unsinn, sagen Experten. Dennoch hat sich einiges geändert. Jugendliche wünschen sich heute genauso wie früher Freiräume, vor allem frei von Eltern. Die Räume haben sich aber geändert, sagen Experten: Nicht mehr Baumhaus sondern Smartphone und Internet. Kontakte pflegen, Beziehungen knüpfen, aber auch Cybermobbing und Internet-Pornos – über Chancen und Risiken der digitalen Medien für die jungen Menschen diskutieren am Dienstag rund 120 Experten in Bielefeld. “On&Off – Liebe, Sex, Freundschaft und digitale Medien” heißt die Fachtagung der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur.
Was ist anders als früher? “Grundlegend hat sich nichts verändert”, sagt die Pädagogin und Soziologin Dagmar Hoffmann. Sexuelle Orientierung entwickeln, Beziehungen aufbauen, pflegen und managen, seien nach wie vor zentrale Angelegenheiten der Jugendlichen. “Nur das Wie ist anders durch die erweiterten Kommunikationsräume”, betont die Professorin aus Siegen.
Der Rückzugsort ist oft nicht mehr im Baumhaus sondern im Netz
Die Medienpädagogin Olivia Förster vom Verein Blickwechsel sagt: “Früher hing man stundenlang an der Strippe. Damals hörten die Eltern oft mit, weil das Telefon im Wohnzimmer stand. Heute kann man im Auto mit den Eltern sitzen und mit der Freundin auf dem Rücksitz hin und her simsen, ohne dass die Eltern etwas mitbekommen. Der Rückzugsort ist oft nicht mehr im Baumhaus sondern im Netz.”
Egal, wo die Jugendlichen sind, sie können sich leicht, schnell und kostengünstig austauschen, ständig in Kontakt bleiben, sagt Olivia Förster, die viel mit Jugendlichen und Eltern arbeitet. “Und Jugendliche können im Internet leicht unterschiedliche Rollen ausprobieren. Das ist wichtig zur Identitätsfindung.”
Zugleich hat das Netz aber auch Tücken: Eine ist, “dass so viele übers Internet bei diesem Ausprobieren zugucken”, sagt Förster. “Setzt der Freund den Beziehungsstatus auf Single, erfährt es neben der Freundin gleich die ganze Welt oder die 516 Freunde, von denen einige sicherlich eher Fremde sind.”
Und das Netz vergisst nicht. Die Belege von Fehltritten, jugendlichen Verirrungen oder intime Offenbarungen “aus Zeiten großer Verliebtheit” (Hoffmann) etwa können sofort und auch später herumgezeigt werden, Stichwort Cybermobbing.
Drittklässler, die Pornos im Internet gesehen haben, reagieren oft verwirrt und verunsichert
Nach Einschätzung der Sexualpädagogen Reinhard Brand und Inge Thömmes hinterlässt auch der einfache Zugang zu Pornofilmen im Internet zunehmend deutliche Spuren bei den Jugendlichen. “Besonders Kinder und Jugendliche mit älteren Geschwistern kommen eher früh mit Pornografie im Internet in Berührung”, sagt Brand. “Wir hatten auch schon Drittklässler, die Pornos im Internet gesehen hatten. Die reagieren oft verwirrt und verunsichert.”
Bei den Veranstaltungen in Schulen trennen die Sexualpädagogen die Gruppen zumindest zeitweilig nach Geschlechtern. “Wenn die Jugendlichen, die sowas sehen, keine Begleitung, keine Beratung haben, kann die Einschätzung von Grenzen des Verhaltens fehlen oder sich verschieben”, hat Brand beobachtet. “Folgen können dann Übergriffe sein, verbal aber auch körperlich.”
Die Leichtigkeit, mit der das Thema Sexualität online behandelt wird, endet oft bei der echten Begegnung, so die Feststellung von Brand und Thömmes: Die Jugendlichen schreiben sich intimste Dinge über Facebook, im wirklichen Leben herrscht dann aber oft große Verunsicherung. Und das Wissen über Verhütung und über den eigenen Körper sei nicht größer als früher. (dpa)